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News |06.04.2022

Die Schweine warten weiter -

Die Schaffung von Rahmenbedingungen u. a. in der Gesetzgebung zum Umbau in den Schweineställen hin zu mehr Tierwohl stehen weiter aus.

Sich über landwirtschaftliche Immobilien einen Überblick zu verschaffen ist komplex. Da gibt es starke regionale Unterschiede in Deutschland: tierstarke Regionen mit intensiver Flächennutzung in Nordwestdeutschland, Grünlandregionen im Norden und Süden, große Betriebsstrukturen im Osten und eher kleinere Betriebe im Süden. Ferner hat jede Tierart schon von Natur aus unterschiedliche Anforderungen an die Haltungsbedingungen und damit an die Immobilien.

Diese Haltungsbedingungen der Nutztiere entsprechen aktuell überwiegend nicht den Erwartungen der Verbraucher und stehen im Fokus des Lebensmitteleinzelhandels, des Gesetzgebers und der NGOs.

Faktencheck - Die Mindest-Anforderungen zur Tierhaltung in Deutschland basiert im Wesentlichen auf der geltenden Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV), die jüngst (01/2021) in einigen Punkten novelliert wurde sowie auf dem Baurecht mit flankierenden Gesetzen und Vorschriften wie z. B. TA Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft), BImSchG (Bundes-Immissionsschutzgesetz).

Die Novellierung der TierSchNutztV im Januar 2021 betrifft vor allem die Stallanlagen der Schweine haltenden Betriebe, insbesondere die Sauenhalter / Ferkelproduzenten.
Um die unterschiedlichen Anforderungen an die Stallanlagen zu erfassen, sei kurz der Prozess der Produktion umrissen: In den Sauenställen werden die Muttertiere gehalten, die in einem biologisch bestimmten Rhythmus Ferkel werfen. Diese Ferkel verbleiben gesetzlich mindestens 4 Wochen bei den Sauen, werden dann in einen Aufzuchtstall (2. Phase) umgetrieben, um in der 3. Phase in den Maststall eingestallt zu werden. Es gibt mithin innerhalb der Schweinefleischproduktion regelmäßig 3 Stall-/ Gebäudetypen mit unterschiedlichen Anforderungen, die aus der jeweiligen Phase resultieren.

Für die Stallanlagen der ersten Phase, den Sauenställen, wurden mit Änderung der Verordnung Fakten geschaffen. Die Muttertiere dürfen weniger fixiert werden und bekommen mehr Platz. Das Problem: Nur ein marginaler Prozentsatz der heutigen, konventionellen Ställe erfüllt die Anforderungen; es sind erheblich Investitionen in Um- wahrscheinlich sogar Neubau erforderlich. Bis 2024 müssen Betriebe, die weiter wirtschaften wollen, ein Umbaukonzept für das Deckzentrum vorlegen, für das bis 2029 ein Bauantrag gestellt sein muss; für den Abferkelbereich im Sauenstall gilt die Frist für den Bauantrag bis 2033. Jüngst gaben in einer Umfrage der ISN mehr als 40 % der Sauenhalter an die Tierhaltung innerhalb der nächsten 5 Jahre aufgeben zu wollen[1].

Ausläufe (Schweine) vor einem Offenstall

Die zweite Phase, die Ferkelaufzucht, ist oft der Sauenhaltung nachgelagert oder seltener in der Mastphase vorgelagert. Die Stall- bzw. Haltungsform wird sich in Zukunft an der nachgelagerten Phase und der Vermarktungsform orientieren. Hier sind ähnlich wie in der dritten Phase (Mast) bisher keine neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen. Es wurde zuletzt über freiwillige Maßnahmen diskutiert (Tierwohlkennzeichnung).

Die große Koalition hat unter der Leitung der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, ein Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung (sogenannte Borchert-Kommission) eingesetzt, um einerseits die Machbarkeit des Umbaus in der Tierhaltung in Bezug auf mehr Tierwohl zu untersuchen und andererseits, unter der Leitung des Thünen-Institutes, eine finanzielle Folgeabschätzung abzugeben. Erklärtes Ziel war die Vorschläge der Borchert Kommission, nämlich ein freiwilliges nationales Tierwohlkennzeichen bis zur Bundestagswahl im September 2021 durchzusetzen. Die Kennzeichnung basiert auf ein dreistufiges Label: Stufe 1: „mehr Platz“, Stufe 2: „Außenklima“ und Stufe 3 „Auslauf“. Das Vorhaben scheiterte politisch auf den letzten Metern im Juni daran, dass ein Koalitionspartner auf ein verpflichtendes Label drängte. Jedoch gilt ein deutscher Alleingang, der für die Produzenten Gesetzescharakter hat europarechtlich als kaum umsetzbar.

Im Zuge der derzeitigen Koalitionsverhandlungen stehen sich politisch folgende Aussagen der Parteiprogramme gegenüber:

 SPDCDUGrüneFDP
Landwirtschaft

lösen von Flächenförderung hin zur Förderung anhand der Kriterien Klima, Natur- u. Umweltschutz und Tierwohl

 

Bekenntnis zur bestehenden Landwirtschaft

Begleitung beim ökologischen Wandel der Branche

 

Stopp der Industrialisierung der Landwirtschaft

Entwicklung zur sozial-ökologischen Agrarpolitik

 

Landwirtschaft unabhängig von Agrarzahlungen

einheitliche Wettbewerb-standards in der EU

marktwirtschaftliche Preisbildung

Tierwohl

Einführung eines verpflichtenden staatlichen Tierwohllabels

 

Umsetzung der Ergebnisse der Borchert-Kommission

 

 

artspezifische verbindliche Regelungen der Haltungsbedingungen

Einsatz für deutliche Anhebung der EU-Tierschutzstandards

Einführung eines einfachen, transparenten u. verpflichtenden Tierwohllabel in der EU

 

Sehr viel früher reagierte der Lebensmitteleinzelhandel. Seit 2018 arbeitet der LEH daran, eine einheitliche Kennzeichnung für den Verbraucher zu etablieren. Unter dem Label „haltungsform.de“ wurden 4 Stufen (Stallhaltung, StallhaltungPlus, Außenklima und Premium)[2] definiert und in der Praxis angewendet. Zahlreiche Einzelhändler kündigten an bis 2030 ausschließlich Fleisch der Haltungsstufen 3 und 4 anbieten zu wollen.

Für investitionsbereite Landwirte ergibt sich nunmehr das Dilemma keine geltenden gesetzlichen oder marktüblichen Vorschriften der Tierwohlställe als Basis für Neu- oder Umbauten vorzufinden.

Bezug zur landwirtschaftlichen Immobilie

Bestehende konventionelle Stallanlagen können oft das geplante staatliche Kennzeichen in Stufe 1 und die Stufe 2 der „haltungsform.de“ durch kleinere Umbauten bzw. das Nachrüsten von Einrichtungen erreichen. Soll dem Tier jedoch auch „Außenklima“ ermöglicht werden (geplantes staatliches Label Stufe 2 bzw. „haltungsform.de“ Stufe 3), muss der Landwirt größere Umbaumaßnahmen am Stallgebäude vornehmen; allem voran die Öffnung von Fassadenteilen.

Viele bestehende Stallanlagen wurden vor der Änderung des Baugesetzbuches im Jahr 2013 als Warmstall errichtet und entsprechen den seinerzeit geltenden Gesetzen und Richtlinien. Da bei der Öffnung von Fassadenteilen sowohl in die Statik eingegriffen wird, als auch das Emissionsverhalten des Stalls sich ändert, sind (Um-)Baugenehmigung selbstredend erforderlich.

Zu dem, dass sich gesetzliche Vorgaben seit 2013 verschärft haben, liegen den Genehmigungsbehörden jedoch kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über die Emissionen freigelüfteter Stallanlagen vor. Auch können seit der ursprünglich erteilen Genehmigung neue Biotope oder Schutzgebiete in unmittelbarer Umgebung zum vorhandenen Stallgebäude ausgewiesen oder etwa andere z. B. wohnwirtschaftliche Nutzungen ausgeweitete worden sein. Erteilen die Genehmigungsbehörden leichtfertig bzw. mit Wohlwollen Baugenehmigungen, um den Prozess zu Gunsten des Tierwohls voranzutreiben, könnten Anwohner oder Umweltverbände im Klageverfahren über ein Gericht die Genehmigung kippen. Dann hätte am Ende der Landwirt erheblich investiert ohne den Stall auf Dauer betreiben zu können.

Außenklimastall-Winter-Ausläufe

Die im Mai 2021 novellierte TA Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) sieht für freibelüftete, tierwohlgerechte Mastschweineställe Erleichterungen in Bezug auf die Emissionen vor. Eine entsprechende Definition zum „tierwohlgerechten Mastschweinestall“ auf gesetzlicher bzw. staatlicher Ebene steht jedoch aus. Die bestehenden Kriterien aus dem Handel können dafür bisweilen nicht herangezogen werden.

Vorgehen in der Bewertung

Für die Bewertung der landwirtschaftlichen Betriebsgebäude bleibt zu unterscheiden, welche baulichen Änderungen bereits gesetzlich verankert sind und im Rahmen der Bewertung, insbesondere der Beleihungswertermittlung im Rahmen von Abzügen berücksichtigt werden müssen (z. B. Phase 1, Sauenställe) und welche zukünftigen Anforderungen an die Stallgebäude ein Modernisierungsrisiko darstellen, weil sie in Umfang und Zeitpunkt bisher nicht definiert sind. Dabei sind Grundlagen für die Bewertung einerseits die baulichen Rahmenbedingungen der Stallanlage und andererseits der Faktor Standort mit den Rahmenbedingungen Emissionsvorbelastungen, Entwicklungsmöglichkeiten am Standort / auf dem Grundstück, Lage zu Schutzgebieten u.a.

Es bleibt abzuwarten in welcher (Rechts-)form, in welchem Umfang, in welchem Zeitrahmen und mit welchen finanziellen Unterstützungen das Tierwohl in Deutschland weiter vorangetrieben wird. Anhand der Parteiprogramme sind Gemeinsamkeiten aber auch gegensätzliche Aussagen zu finden. Zum jetzigen Zeitpunkt der Koalitionsverhandlung ist der politische Rahmen für die Landwirtschaft nicht auszumachen. Fest steht: ein Weiter so wird es nicht geben und je länger der Warte-Modus in der heimische Landwirtschaft andauert, je mehr Betriebe geben die Tierhaltung auf.

[1] ISN – Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands e. V. „Umfrage zur Zukunft der Schweinehaltung“, 2021

[2] weitere Informationen unter www.haltungsform.de

Redaktionsstand (Nov. 2021) Quelle der Fotos „The Family Butchers Germany GmbH“

Autorin:  B. Eng. Kerstin Ahmann
                 Senior-Immobiliengutachterin HypZert (F/M)
                 KENSTONE GmbH
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